Wanderung 5: (27.10.2017)

20,5 km von Probstzella nach Tettau

  • über seine Grenzen gehen
  • mach Dich auf den Weg!
  • seinen Weg gefunden haben
  • komm nicht vom Weg ab!
  • er/sie ist vom rechten Weg abgekommen!
  • einen Weg gemeinsam gehen
  • der Lebensweg
  • auf seinem/ihrem letzten Weg begleiten
  • geh mir aus dem Weg
  • Wegweiser
  • Wegbereiter
  • der Weg ist das Ziel
  • Wo ein Wille, dort ist auch ein Weg!

Die Symbolik des Wortes Weg fiel mir erst auf, als ich über die einzelnen Formulierungen nachdachte. Im Märchen soll Rotkäppchen nicht vom Weg abkommen; der Sieger eines Wettkampfes, der über seinen Grenzen gehen konnte; die Mahnung, nicht vom rechten Weg abzukommen, bis hin zur Feststellung, dass jemand vom Weg abgekommen ist, also etwas Falsches gemacht hat. Gut gefällt mir die Idee, mit einem mir lieben Menschen den Weg oder gar einen Lebensweg gemeinsam zu gehen und/oder zu erfahren. Wie sehr stellte ich als Junge oft die Sinnhaftigkeit der Worte, »wo ein Wille, dort ist auch ein Weg!« in Frage, um sie später selber zu gebrauchen.

Mit einiger Kreativität fände man sicherlich noch mehr Formulierungen zum oder um das Thema WEG, aber letztendlich bleibt doch nur festzustellen, dass uns manche Worte und Sätze das Leben lang begleiten und wir sie benutzen, ohne oft über deren Bedeutung nachzudenken. Sie sind uns, noch so ein bedeutungsschwangeres Wort, in Leib und Blut übergegangen. Ich glaube auch, dass sich Sprache im steten Wandel befindet und jede Jugend ihre eigene Sprache erfindet und auch braucht. Ich glaube aber auch, dass sich einige Wörter und Redewendungen über die Zeit »retten« und von Jung und Alt gebraucht werden.

Nun haben wir beim Gehen oder Wandern nicht Bedeutungsschwangere Diskussionen über die Herkunft von unterschiedlichen Wegen gesprochen. Wir sind tatsächlich gemeinsam einen Weg gegangen, der aus unserer Sicht eine große Bedeutung für die Deutsche Geschichte hat. Und wie wir alle wissen, ist die theoretische Erörterung eines Sachverhaltes nie so eindrücklich, wie das tatsächliche Erleben. Zeige ich eine Grenze auf einer Karte oder wandere ich auf ihr entlang und sehe einige alte Symbole, die in ihrer Komplexität und Aussagekraft für unsere Kiju unfassbar da extrem grausam sind, werden sie die Erläuterungen dazu nie vergessen. Vielleicht haben wir damit auch einen sehr kleinen Baustein gesetzt, der verhindern könnte, dass unsere »Grenzgänger nicht vom Weg abkommen« und nicht falschen Demagogen nachlaufen.

Heute jedenfalls haben wir sie begleitet und sie sind frohen Mutes, denn sie haben heute 20,5 km zurückgelegt und dabei 500 Höhenmeter überwunden. Selbstverständlich haben weder sie noch wir nur gelacht. Wir haben gestritten und uns wieder vertragen, wir haben Tränen der Erschöpfung, des Schmerzes und der Freude vergossen oder weggewischt. Wir haben auf kleine und große, junge und alte Füße Balsam ausgegossen und zum Schluss waren wir meist eine Gruppe, die gemeinsam ankam und die Menschen, denen wir begegneten, begeisterte.

Wir brieten gestern vor unserer Unterkunft Bratwürste und Schnitzel, als eine sehr alte Frau vorbeikam. Sie dachte, hier würden Menschen gemeinsam feiern. Sie kam zu uns und bestellte bei mir, ich stand zufällig vor dem Bräter und kämpfte mit einer verklebten Wurst, zwei Würstchen und wollte zunächst wissen, was die wohl kosten würden. Ich erklärte ihr den Grund unserer Anwesenheit und auch, dass wir uns freuen würden, dürften wir sie zu den Würsten einladen. Ihr war es etwas unheimlich, wollte aber unbedingt die bestellten Thüringer bezahlen. Sie ließ sich nicht davon abbringen, uns 4,- € als Spende zu geben, ein vierer Paket hatte im Aldi 1,99 € gekostet. Da wir aber kein Verpackungsmaterial hatten, war sie ganz verzweifelt, denn wie sollte sie diese Würste wohl in ihr Altenwohnheim bringen und sie hatte sich doch so auf die Würstchen gefreut. Wir fanden selbstverständlich eine Lösung; Michael O. war bereit, die liebe »Großmutter« zu begleiten und allein durch seine schiere Größe sicherzustellen, dass sie und auch die Würstchen sicher in ihrem Appartement ankamen. Mit den Worten, »solch eine liebe Gruppe habe ich noch nie getroffen und erst die Würstchen….!« wurde Michael verabschiedet.

Sich auf den Weg zu machen ist oft schwer und es gibt viele Gründe, erst gar nicht damit anzufangen. Hat man es dann aber doch geschafft, obwohl viele kleine Teufelchen im Kopf davon abraten, darf man erleben, wie schön es ist sich selbst und anderen zu begegnen. Und vielen netten Menschen, die uns geholfen haben, sind wir begegnet. Leider konnten wir nur der alten Frau eine Freude machen. Tatsächlich haben wir in unseren eigenen Seelen und Herzen Spuren hinterlassen, indem wir Geschichte erlebt und erlebbar gemacht haben.

Ein Schreiber, der mehr oder weniger aufregenden Zeilen auf meist geduldiges Papier oder mittlerweile auf einen Desktop schreibt, hat es tatsächlich manchmal schwer. Nicht etwa, weil er sich als Nacherzähler außerhalb der Erleber bewegt, ohne zum Teil selber zu erfahren, sondern weil er seine Beobachtungen in Worte fassen muss.

Dabei könnte ihm auffallen, dass die von ihm beschriebene Gruppe so wenig erlebt oder erleben kann und will, dass er seine Fantasie benutzen muss, um die Blätter zu füllen. Ich hingegen hatte die große Freude mit einer Gruppe auf dem Weg zu sein, die erleben wollte, eine Gruppe, die eine sehr wichtige Eigenschaft besaß – die der Neugier. Ich musste also nichts erfinden, um Seiten zu füllen, sondern Erzählungen in schmerzhaften Empfinden kürzen, weil ich sonst vielleicht ein kleines Büchlein gefüllt hätte.

Ich bin auch neugierig – neugierig auf das nächste Jahr, wo wir gemeinsam die nächste Etappe unserer »Grenz(erfahrung)wanderung« beginnen wollen.

Nicht nur weil es üblich, sondern weil es uns wichtig ist, wollen wir uns bei all´ denen bedanken, die uns bereitwillig und problemlos Unterkünfte zur Verfügung gestellt haben und denen, die diese Fahrt erst ermöglicht haben. Hierzu zählt mit Sicherheit unserer Heimleitung, aber auch die Spender, die uns finanziell unterstützten. Es gibt immer viele Menschen, die dann bei der Nennung irgendwie unter den »Tisch« fallen. Ein Hausmeister, dem bei unseren Wünschen die Haare zu Berge standen, die er aber trotzdem erfüllte und/oder ein Koch, der für uns alle Sachen besorgte, so exotisch sie auch gewesen sein mögen. Auch maßregelte er uns aus der Ferne, denn Michael und ich hatten das Stehen am Kochtopf satt, zumal wir 15 Kilo Kartoffeln schneiden mussten. Als er das Bild sah, dass wir ihm nach seiner Bewunderung heischend zusandten, schrieb er uns postwendend zurück. »Köche arbeiten im Stehen!«

Wie schon geschrieben, ich will kein Büchlein schreiben und wir freuen uns, würden sie uns auch im nächsten Jahr mit warmen Gedanken begleiten!         

 

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