Wanderung 5: (25.10.2018)

Nun war ich schon zum dritten Male im Schlafraum, der hoffnungslos überfüllt ist, aber trotzdem 54 Menschen Obdach und Ruhe bietet. Nun gut – Obdach ist O.K., Ruhe? Es ist ein bisschen wie in den Alpenhütten, wenn die letzten Wanderer eintreffen und man selber schlafen möchte, weil der Aufstieg früh beginnen soll. Also, ein schier unlösbares Unterfangen.

Aber da liegen sie, all´ die Kinder und Jugendlichen, die wir auf dem Weg begleitet haben, oder vielleicht haben sie auch uns begleitet. Die zehnjährigen, die, im Bemühen das Erlebte zu erzählen, kaum zur Ruhe kommen und selbst im Schlafsack, kurz vorm Einschlafen, noch die letzten Fragen stellen. Die coolen älteren Jugendlichen, die scheinbar völlig entspannt in den »Schlaftüten« liegen und mit einer liebevollen Arroganz auf die Jüngeren schauen. Sie selbst drängt es aber danach, selber zu erzählen, ihre Erlebnisse auszutauschen. Die Pädagogen stehen dann oft im Mittelpunkt, denn mit wem sollte man seine Erlebnisse in diesem Moment teilen.

So genieße ich es, am Rande zu stehen und dem hektischen Treiben zuzusehen. Jeder erzählt ohne Pause und wen stört es schon, dass andere zeitgleich auch von ihren Erlebnissen erzählen.

Oft stellt man mir die Frage, warum ich an derartigen Veranstaltungen teilnehme. Man kommt selten zur Ruhe, reduziert seine Ruhezeit auf das Nötigste und erklärt den Kindern und Jugendlichen jeden Tag aufs Neue, warum sie Lust haben, an einer Wanderung teilzunehmen.

Es ist schwer zu erklären, denn man muss bereit sein, sich die Erlebniswelt der Kinder von ihnen selbst erklären lassen. Plötzlich wird man, vorausgesetzt man ist bereit ihnen zuzuhören, die Welt aus ihren Augen sehen dürfen.

Und dann wirst Du feststellen, dass sich viele Fragen im Nichts auflösen und andererseits scheinbar unbedeutende Probleme eine neue Dimension erklimmen. Erklären sie mal einem Kind, warum Menschen auf Menschen schießen! Welche Bedeutung haben Grenzen und warum gibt es Grenzen? Was sind Waisen? Es gibt viele Fragen, die wir mit unseren Worten sehr leicht beantworten könnten, denen aber leider die Emotionen fehlen, die es Kinder erleichtern würden, unser Tun zu verstehen.

Dann sitzen die Kinder vor Dir, schauen Dich mit großen Augen an und Du beginnst zu stottern. Denn alles ist möglich, aber erwachsene Konstrukte werden von ihnen in kurzer Zeit als unwahr entlarvt. 

Wie sollte ich den Tag beschreiben? Ich oder besser wir sind stolz auf unsere Kinder und Jugendlichen, die uns unermüdlich bergauf und bergab folgten und durchaus noch lächelten, wenn es uns langsam schon zu schwer wurde. Im heutigen Lager war der Platz schon sehr begrenzt. Während wir uns schon Sorgen machten, ob der Platz wohl reichen könnte, packten die Kinder mehr oder weniger wortlos ihre Sachen aus, grinsten uns an und plapperten als sei dieses enge Lager das normalste der Welt!

So stellt sich mir die Frage, wer war mit wem und warum auf dem Weg, der Deutschland in zwei Hälften teilte?