Wanderung 4: (17.10.2019)

In der Nacht hatte es wieder geregnet und der Wetterbericht verhieß nichts Gutes, denn auch am frühen Abend sollte es wieder regnen. Vor der Bäckerei stehend – selbstverständlich gab es auch heute frische Semmeln – sahen wir einen riesigen Regenbogen, der als Zeugnis der letzten Nacht nun durch die noch tiefstehende Sonne seinen Gruß an uns sandte. Nach einem solchem Zeichen kann uns nur Glück beschieden sein, Glück, welches wir für die heutigen 25,2 km auch brauchen würden.

Nach einem großen Frühstück und einem angemessenem Lunchpaket packten wir unsere Sachen, denn heute nahmen wir Abschied vom TSV Trappstadt und dem freundlichen Schmitti. Schnell bepackten wir den Hänger mit dem Gepäck und die ersten Gruppen wurden nach Irmelshausen gefahren. Dort hatten wir sie gestern abgeholt und heute sollte von dort die Wanderung mit dem Ziel Henneberg weitergehen. Nach langen Telefonaten des Vorkommandos hatte uns eine Landrätin des Kreises eine Übernachtung in der Turnhalle der Grundschule zugesichert und der Bürgermeister von Henneberg seinen Besuch angekündigt, denn er wollte als „ExDDRler“ einiges richtigstellen.

(Matthias Kemp & Niklas Niederhausen bilden für unser „Grenzprojekt das Vorkommando. Sie legen im Lauf des Jahres die möglichen Wanderstrecken fest und erkunden und buchen mögliche Übernachtungsorte.)

Wir waren sehr gespannt, mit welcher Intention der Bürgermeister uns besuchen würde und hofften auf eine positive Überraschung.

Während die Gruppen die Grüne Grenze bergauf und ab wanderten, räumte das Orga-Team das Lager im TSV Trappstadt auf. Immer waren wir dabei sehr gewissenhaft, denn wir schätzten die Bereitschaft der Menschen, die uns Obhut gewährten, sehr hoch ein. Aber im Falle des TSV Trappstadt gaben wir uns sehr viel Mühe, denn wir waren besonders herzlich empfangen und behandelt worden. Schmitti, der unsere Aufräumarbeiten abnahm, hatte jedenfalls nichts auszusetzen und wir verabschiedeten uns herzlich.

Der Weg nach Henneberg führte uns durch das Biosphärenreservat Rhön und die Busse hatten Mühe, bei dem ständigen Auf und Ab die schweren Hänger zu ziehen. Doch schließlich erreichten wir den kleinen Ort, der direkt hinter der „Zonengrenze“ im ehemaligen Sperrgebiet liegt bzw. lag. Eine liebevoll restaurierte Grundschule sollte für eine Nacht unsere Basis sein und in der kleinen Sporthalle durften wir schlafen. Unterwegs hatten wir eingekauft und nach dem Entladen der Hänger begannen wir mit dem Aufstellen und Einrichten der Küche. 25 km forderten massive Gegenmaßnahmen – heute gibt es viele Kohlenhydrate in Form von Nudelmassen.

Zurück zu den Wanderern: Wie die eindrucksvollen Bilder bestätigen, bewegte sich die Gruppe durch anspruchsvolles Gelände. Selten ging es geradeaus und der finale Berg hatte es in sich. Aber alle setzten sich gegen den „inneren Schweinehund“ durch und kämpften sich die „Wand“ hinauf. Eine mehr oder weniger originalgetreue Grenzanlage war dort aufgebaut und ließ erkennen, wie akribisch die SED bzw. Ulbricht, Honecker und Konsorten die Abschottung der DDR gegen die westliche Welt geplant hatte. Dabei gingen sie nicht nur sprichwörtlich über Leichen.

Extra starke Schranken behinderten die Weiterfahrt und ließen die Fahrzeuge leichter Kontrollieren. Rammböcke und Panzersperren vervollständigten das Ensemble und lassen uns auch im Nachbau erkennen, wie gnadenlos diese Politiker ihre zweifelhaften Ziele durchzusetzen bereit waren. Neben den Straßen verliefen die altbekannten Kolonnenwege, die in Richtung der westdeutschen Grenze zusätzlich mit Minensperren gesichert waren. Vervollständigt wurden diese Bollwerke durch Wachtürme und Streifen, die häufig durch scharfe Hunde begleitet wurden.

Irgendwann haben Schüler in Projektarbeit einen Skulpturenpark neben der Grenze errichtet, der mit seinen Darstellungen von Menschen, die diese Grenze erfahren haben, dafür sorgen soll, dass diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät. Vielleicht überzeugt gerade die Einfachheit dieser Kunstwerke andere Menschen, dass derartige Grauen nicht mehr passieren dürfen.

Müde, verschwitzt aber stolz, diese Tour geschafft zu haben, erreicht die Gruppe das Lager. Nachdem sie sich gewaschen oder geduscht hatten, aßen wir. Riesige Portionen wurden verdrückt und selbst die letzte Nudel fand ihren „Liebhaber“.

Nach den obligatorischen Aufräumarbeiten wurde es schnell still in der kleinen Sporthalle und der letzte Berg forderte sein Tribut von den großen und kleinen Helden.

Eigentlich wollten wir auch ins Bett gehen, aber der Bürgermeister wollte uns ja noch besuchen und wir wollten ihn nicht vor den Kopf stoßen und blieben tapfer sitzen. Irgendwann jedoch waren wir des Wartens müde und nach und nach verabschiedeten sich die Pädagoginnen und Pädagogen. Gerade als sich der letzte Rest zurückziehen wollte, ging die Tür auf und sie jetzt raten zu lassen, wer da wohl stehen würde, wäre müßig. Es wurden aus meiner Sicht noch spannende Stunden. Der Bürgermeister konnte eindrücklich erzählen, wie das Leben in der DDR war und welche Auflagen und Entbehrungen das Leben erschwert hatten. Zusätzlich wurde das Leben in Henneberg dadurch erschwert, dass durch die beschriebene Grenze das Städtchen im Sperrgebiet lag. So musste jeder, der zur Arbeit fuhr, an der Kontrollstelle seinen Pass vorzeigen. Auf dem Rückweg musste die Prozedur wiederholt werden. Wollte man eventuell seine Freundin zu Hause vorstellen, die dummerweise aber nicht in Henneberg wohnte, war das nur möglich, hätte sie einen Passierschein gehabt. Diesen erhielten aber nur Menschen, die entsprechende Sicherheitsstufen hatte. So jagte eine Schwierigkeit die andere und erschwerte das Leben maßgeblich. Selbst „Delikte“ wie das Sehen von Westfernsehen wurden bestraft und schnell wurde man einem Verhör durch die Stasi unterzogen. Leider gab es viele Menschen, die ihre Nachbarn denunzierten und viele lasen nach der Wende ihre Stasiakte, um so zu erfahren, wer sie bei der Stasi „angeschwärzt“ hatte.

Doch lebten in der DDR auch Menschen, wie anderen Ortes, die gelacht und geweint, geliebt und gehasst haben. Die also nicht anders gelebt haben, als wir, die aber nur das Pech hatten, in einem sehr autoritären Staat zu leben. So haben auch wir mit dem Bürgermeister gelacht oder auch verständnislos den Kopf geschüttelt. Als er später ging, ließ er uns nachdenklich zurück und manch einer dachte sich den Schlaf!